Fortschritt braucht Zusammenhalt und Zusammenhalt braucht Fortschritt

Thomas Losse-Müller: Es ist kein Geheimnis: Als Opposition hätten wir diese Debatte mit Ihnen gerne schon im Juni geführt. Mir erschließt sich nach Ihren Ausführungen nicht, inwiefern sich das Warten gelohnt haben soll. Sie haben sich im Juni mehr Zeit für die Vorbereitung der Regierungserklärung ausgebeten. Die haben Sie bekommen. Ihre Rede markiert den Abschluss wochenlanger Koalitionsverhandlungen, hoffentlich gründlichen Nachdenkens während der Sommerpause. Ihre Rede sollte das Ergebnis - so haben Sie und Frau Heinold es angekündigt - intensiver Beratungen der Landesregierung über Ihr Arbeitsprogramm sein. Es hätte eine Rede sein sollen, die Menschen in unserem Land in herausfordernden Zeiten Orientierung gibt. Das war sie leider nicht.

REDE AUS DEM LANDTAG

TOP 1: Regierungserklärung „Zusammenhalten – zusammen gestalten“ (Drs. 20/175)

„Es ist kein Geheimnis: Als Opposition hätten wir diese Debatte mit Ihnen gerne schon im Juni geführt. Mir erschließt sich nach Ihren Ausführungen nicht, inwiefern sich das Warten gelohnt haben soll. Sie haben sich im Juni mehr Zeit für die Vorbereitung der Regierungserklärung ausgebeten. Die haben Sie bekommen. Ihre Rede markiert den Abschluss wochenlanger Koalitionsverhandlungen, hoffentlich gründlichen Nachdenkens während der Sommerpause. Ihre Rede sollte das Ergebnis – so haben Sie und Frau Heinold es angekündigt – intensiver Beratungen der Landesregierung über Ihr Arbeitsprogramm sein. Es hätte eine Rede sein sollen, die Menschen in unserem Land in herausfordernden Zeiten Orientierung gibt. Das war sie leider nicht.

Herr Ministerpräsident, in den vergangenen Wochen haben sich viele Menschen im Land gefragt, ob Ihre Regierung den Anforderungen unserer Zeit überhaupt gewachsen ist. Sie haben sich gefragt, ob Sie zu siegestrunken waren, um sich hier schon im Juli zu erklären. Ob Ihr Moderationsstil scheitert, weil Ihnen die FDP fehlt. Ihr Ressortzuschnitt folgt nicht den Bedürfnissen des Landes, sondern einzig und allein der Machtlogik Ihrer Koalition.

Gesundheit zu Justiz, das Auseinanderreißen von Agrar und Umwelt und – wie wir jetzt gelernt haben – gehen Migration und Flüchtlingsfragen ins Sozialministerium, aber Abschiebungen ins CDU-Justizressort. Nachdem schon niemand bei Ihnen die Verantwortung für das Thema Gesundheit übernehmen wollte, frage ich mich, ob sich die Grünen dieses schwierige Politikfeld vom Hals halten wollten, oder ob es Ihnen – Herr Günther – wichtig war, dass Abschiebungen wieder von einem bekennend wertkonservativen Staatssekretär vorangetrieben werden. Beides müsste einen mit tiefer Sorge erfüllen. Sie haben ein äußerst dürftiges Arbeitsprogramm vorgelegt und hier jetzt auch keine neuen Erkenntnisse geliefert. Ihre Politik reduziert auf Repräsentation, Persönliches, Bilder, Folklore und Joggen.

Frau Landtagspräsidentin, Sie haben in der ersten Landtagstagung den Sport als ein Leitbild für Politik in den Mittelpunkt Ihrer Rede gestellt und dabei viele interessante Parallelen herausgearbeitet. Ich möchte trotzdem festhalten: Joggen – egal mit wem und egal wie schnell – ersetzt keine Politik. Ihr inzwischen landesweit bekannter Staatssekretär Otto Carstens hat das nochmal anders schön pointiert: Zitat „Man muss nicht sportlich sein, sondern nur sportlich aussehen.“ Im Sinne Ihres Sportgleichnisses, Frau Präsidentin, müsste man das übersetzen als „Man muss nicht regieren, sondern nur so aussehen, als ob man regiert“. Für die SPD Fraktion darf ich sagen: Schleswig-Holstein hat Besseres verdient.
Herr Ministerpräsident, Sie haben hier noch einmal Ihren Koalitionsvertrag mit seinen mehr als 140 Prüfaufträgen zusammengefasst, aber Ihre Zusage von Konkretisierungen nicht eingelöst. Diesen Regierungsstil hat mein Kollege Christopher Vogt am Beispiel Übergewinnsteuer so gut auf den Punkt gebracht, dass ich ihn hier – mit seinem Einverständnis – zitieren will: „[Daniel Günther] sagt, dass er Verständnis für die Forderung habe, lehnt aber eine Übergewinnsteuer ab. Dann sagt er, dass man eine intelligente Lösung finden müsse, bleibt aber im Unkonkreten. So ungefähr wird wohl auch die schwarz-grüne Regierungspolitik in den nächsten Jahren laufen: Man zeigt empathisch Verständnis, lehnt eine Lösung ab und fordert etwas Anonymes, das es nicht gibt.“

Herr Kollege Vogt, es ist nicht nur wegen solch scharfer Analysen ein außerordentliches Vergnügen mit Ihnen zusammen Opposition zu machen. Das gilt im Übrigen für Euch Alle, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP und des SSW.
Meine Damen und Herren, die Aufgaben sind groß. Wir müssen sozialen Zusammenhalt stärken, für bezahlbare Wohnungen sorgen, unsere Wirtschaft modernisieren und gute Arbeitsplätze sichern. All das ist angesichts explodierender Energiepreise und Fachkräftemangel nicht leichter, sondern schwerer geworden. Viele Menschen machen sich Sorgen mit Blick auf den Winter.
Was ist denn jetzt die schwarz-grüne Antwort?

  • Sie wollen Kita-Plätze ausbauen und mehr Personal einstellen. Das ist um ehrlich zu sein Pflichtprogramm keine programmatische Neuerung.
  • In Ihrer Rede verweisen Sie darauf, dass Sie auf die Kappungsgrenzenverordnung statt Mietpreisbremse setzen, weil das effektiver sei. Dabei sind das zwei vollkommen unterschiedliche Instrumente. Kappungsgrenzen gelten in bestehenden Mietverhältnissen und die Mietpreisbremse bei Neuvermietung. Schon per Definition können die beiden Instrumente nur gemeinsam effektiv sein. Deswegen brauchen wir beides!
  • Sie wollen sich Zitat „anstrengen“, wenn es um die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum geht. Im Wahlkampf haben Sie noch breitbeinig auf die hohen Bauzahlen verwiesen. Inzwischen ist Ihnen wohl auch klargeworden, was wir immer gesagt haben. Diese Werte lassen sich nicht einfach fortschreiben. Sie wollen eine „Landesentwicklungsgesellschaft“ gründen – aber was soll die denn tun? Ich hätte da ein paar Ideen. Zumindest den Begriff haben sie ja schon dem SPD Programm entnommen.
  • Ich habe aufmerksam beim Thema Fachkräfte zugehört. Das ist mit Sicherheit eines der wichtigsten Themen für die Entwicklung unseres Landes und gilt für alle Bereiche. Die Pflege, den Klimaschutz und Sicherung unseres wirtschaftlichen Erfolgs.
  • Leider habe ich nicht mal den Ansatz einer konkreten Maßnahme gehört. Ja, Sie sind für mehr Zuwanderung. Aber das regelt der Bund. Was tun Sie denn hier im Land, um Fachkräfte zu gewinnen? Welche Fachkräfte in welchen Wirtschaftsbereichen, wo sollen die wohnen? Aus welchen Ländern sollen sie kommen? Auf welche Schulen und in welche Kitas gehen ihre Kinder? Wie kommt der Betrieb bei mir im Dorf in Kontakt mit Fachkräften aus Potsdam, Portugal oder Puerto Rico? Im Wesentlichen erklären Sie sich für nicht zuständig.

ÖPNV: Soll der Bund machen, obwohl Regionalverkehr Aufgabe der Länder ist. Laptops und iPads – Bring your own device – buchstäblich: bring dein eigenes Gerät. Darum müssen sich die Eltern schon selbst kümmern. Digitalisierung der Schule: Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer – die müssen halt besser werden.
Herr Ministerpräsident, Sie behaupten „alles zu tun“, um unser Land gut durch den Winter zu bringen. Bisher haben Sie nichts getan. Dabei ist die Lage ist ernst. Wir steuern auf einen harten Winter zu. Und wahrscheinlich wird es im nächsten und übernächsten Winter nicht viel leichter.
Das Land muss dazu beitragen, dass wir zusammen gut durch diese Zeit kommen und den Menschen Sicherheit geben. Der Plan, den wir als SPD-Fraktion in dieser Tagung zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger vorlegen, müsste eigentlich von Ihnen kommen. Nehmen Sie sich doch mal ein Beispiel an Ihren Nachbarn. Stephan Weil hat seinen Energiegipfel am 4. August durchgeführt. Manuela Schwesig am 22. August.

Aber – meine Damen und Herren – lassen wir uns nicht ablenken. Es geht hier heute nicht allein um Performance oder Haltung, sondern um den Kern von Politik. Was bedeutet denn „Zusammenhalten und zusammen gestalten“? – Das war ja der Titel Ihrer Regierungserklärung. Es geht um die Frage, welche Verantwortung eine Landesregierung übernehmen muss. Welche Rolle Staat und Politik haben. Und lassen Sie mich das vorab gleich sagen. Ihr schwarz-grünes Verständnis von Politik und das der SPD könnte nicht unterschiedlicher sein. Wer es ernst meint mit Klimaschutz, Digitalisierung und gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Modernisierung muss in den Verwerfungen der Transformation für Zusammenhalt sorgen – muss die Menschen in unserem Land in die Lage versetzen diesen Weg mitzugehen. Zusammenhalt entsteht durch gegenseitiges Vertrauen, Identifizierung mit dem Gemeinwesen, gemeinwohlorientiertem Handeln, den Verzicht auf den eigenen Vorteil zugunsten Anderer, Teilhabe aller – wirklich aller! – Menschen in Schleswig-Holstein an den Chancen, die sich unserem Land bieten. Er entsteht durch Toleranz, Respekt, Vergebung und dem unbedingten Vorrang von Liebe vor Angst. Sozialen Zusammenhalt zu schützen und zu stärken, ist ein überlebenswichtiges Ziel für Gesellschaften und globale Politik.

Gesellschaftlicher Zusammenhalt wird heute von zwei Seiten bedroht: Die erste Bedrohung ist die immer weiter fortschreitende Individualisierung. Die Hinwendung zum Ich und Schwächung gemeinschaftlicher Institutionen wie Vereinen, der Feuerwehr und Parteien. Eine Schwächung der „sozialen Bindekraft“ wie Wolfgang Schäuble es einmal nannte, des sozialen Kitts. Der amerikanische Soziologe Robert Putnam hat das schon vor 20 Jahren als „bowling alone“ beschrieben: Menschen gehen lieber alleine kegeln, mieten sich lieber eine Bahn für ein Event als sich in Ligen zusammen zu tun, gegeneinander zu spielen und damit Berührungspunkte mit anderen Menschen zu schaffen. Viele Menschen gehen lieber ins Fitnessstudio als in die Strukturen eines Fußballvereins. Lieber eine Initiative in der sie projekthaft, temporär mit Gleichgesinnten arbeiten, als in die – geben wir es zu: manchmal anstrengenden Strukturen – einer Partei. All unser gemeinsames Engagement in diesem Parlament für das Ehrenamt, den Sport, Feuerwehr und THW, Blutspenden, die Parteiendemokratie ist deshalb so wichtig. Aber egal wie erfolgreich wir damit sind – und ich wünsche mir das sehr – es reicht nicht, um in diesen Zeiten Zusammenhalt zu garantieren. Fehlender sozialer Kitt ist nicht die einzige – und noch nicht einmal die wichtigste – Bedrohung für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die größere Bedrohung ist die – wie der französische Soziologe Pierre Bordieu es nennt – „Abdankung des Staates“ als Garant für sozialen Ausgleich und Organisator ökonomischer und gesellschaftlicher Teilhabe.

Wie sollen die Menschen uns denn vertrauen, dass wir den Weg in eine digitale und klimaneutrale Welt erfolgreich meistern, wenn sie keine Wohnung finden, wenn sie es sich nicht leisten können, ihre Wohnung warm zu halten, wenn die Digitalisierung in der Schule nicht funktioniert, wenn sie sich nicht darauf verlassen können, dass ihre Kinder die beste Ausbildung kriegen um ihnen eine Zukunft in Wohlstand zu sichern. In einer Zeit, in der es nicht um die Verteilung von Zuwächsen, sondern die Umverteilung vorhandener Ressourcen geht, in einer Zeit, in der wir Transformation organisieren müssen und kein „Weiter So“. In so einer Zeit ist es die wichtigste Aufgabe der Politik, allen Menschen zu ermöglichen, ein fester Teil einer nachhaltigen und modernen Gesellschaft zu sein.

Wer die Frage nach Zusammenhalt und gemeinsamem Handeln allein mit einem Plädoyer für mehr gesellschaftliches Engagement im Sportverein, der Feuerwehr und den vielen Aktivitäten des engagierten Bürgertums beantwortet, hat nicht verstanden, worum es bei der Frage gesellschaftlichen Zusammenhalts geht. All das ist wichtig, aber es greift am Ende zu kurz. Sozialer Zusammenhalt braucht einen aktiven, handlungsfähigen Staat mit einer gut organisierten Verwaltung, die technisch und digital auf der Höhe der Zeit. Eine politische Führung, die bereit ist, sich den Herausforderungen zu stellen. Die bereit ist, zu investieren und die Veränderungen gestaltet. Die Fortschritt will und Zusammenhalt organisiert. Eine Landesregierung, die sich nicht ans Ende der Geschichte stellt, sondern an den Anfang einer neuen Geschichte.

Herr Ministerpräsident, all das fehlt Ihnen. Sie haben gerade mehr Zeit damit verbracht zu erklären, warum Sie nicht handeln wollen, als zu erklären, was Sie gestalten wollen. Es ist ja schön, dass sich nach Ihrer Aussage die gesamte Landesregierung beim Bund für Entlastungen einsetzt. Aber was ist denn mit Ihrer Verantwortung? Diese schwarz-grüne Regierungserklärung macht endgültig klar, dass sich die politische Landkarte verschoben hat. Wir werden in den nächsten fünf Jahren sehr klare Konfliktlinien debattieren: Wollen wir, dass das Land seiner Verantwortung gerecht wird und in Krisen und den Veränderungen echten Zusammenhalt organisiert? Oder begnügen wir uns mit Sozialer-Kit-Folklore und Wohlfühlpopulismus. Wollen wir einen liberalen Rechtsstaat oder lassen wir den Rollback in einen Obrigkeitsstaat zu? Wollen wir, dass Sozialpolitik Strukturen verändert und Verteilungsgerechtigkeit organisiert? Oder kehren wir zurück zu gönnerhaften Almosen an die ‚würdigen Armen’? Im Kern geht es um die Frage, welche Aufgabe eine Landesregierung in diesen Zeiten hat.
Die Landesregierung hat jetzt für nächsten Montag zu einem Energiegipfel eingeladen. Wie war das? In noch nie dagewesener Größe? Wir freuen uns auf eine Einladung als Opposition, aber sollten Sie sich dagegen entscheiden, gebe ich ihnen gerne schon heute ein paar Punkte mit:

  1.  Wir dürfen die Gasmangellage nicht forcieren. Herr Kilian, Herr Koch, Frau Glissmann, ich habe noch im Ohr, wie sie im Frühjahr populistisch das sofortige Embargo gefordert haben. Man müsse sich dann halt einen Pulli mehr anziehen. Das wäre ein schwerer Fehler gewesen. Die SPD hat das gemeinsam mit Grünen und FDP verhindert.
  2. Stützungsmaßnahmen der Energieversorger und Stadtwerke müssen gezielt und direkt geleistet werden. Insolvenzen müssen auf jeden Fall verhindert werden. Dafür brauchen wir eine Reform der Gasumlage. Und seien wir ehrlich, Herr Goldschmidt, an dieser Stelle gibt es auch in der Bundesregierung einen Konflikt zwischen unseren Parteien. Sie halten es für notwendig die Preise möglichst hoch zu halten – wir halten den Bogen für überspannt.
  3. Wir müssen Spekulationen und Marktverwerfungen unterbinden. Herr Goldschmidt, ich würde mich freuen, dazu einmal etwas Ihnen als zuständiger Minister und Regulator für die Marktsaufsicht über die Strom- und Gaspreise zu hören. Ich begrüße ausdrücklich, dass wir gemeinsam kurzfristig die Regeln am Strommarkt ändern wollen.
  4. Wir brauchen soziale Entlastungen: Die Beratungen darüber laufen. Uns allen ist klar, dass die großen Entlastungen vom Bund kommen. Aber auch das Land hat dabei eine Aufgabe.
    Herr Ministerpräsident, Sie haben gestern im Interview mit dem SHZ noch einmal deutlich gemacht, dass Sie in dieser Krise keinerlei Verantwortung übernehmen wollen und auch nicht beim Land sehen. Da liegen Sie politisch und fachlich falsch. Eines der zentralen Instrumente, wie wir entlasten können und werden, ist über das Wohngeld und Heizungskostenzuschuss. Unser Antrag setzt genau dort an, wo das Land besser als der Bund handeln kann:
    • Wir informieren Menschen in Schleswig-Holstein über ihr Recht auf Wohngeld. Viel zu viele Menschen nehmen es nicht in Anspruch. Deshalb fordern wir eine Informationskampagne. Außerdem müssen die Kommunen bei der Bearbeitung der vielen neuen Anträge unterstützt werden.
    • Wir helfen mit einem Härtefallfonds, wo die Maschen der Bundesprogramme zu groß sind und Menschen durchrutschen. Das war zumindest in der Corona-Pandemie noch die gemeinsame Haltung von Regierung und Opposition.
    • Wir setzen wirksame Energiesparmaßnahmen um, die weit darüber hinausgehen sparsame Duschköpfe zu verteilen. Das ist eine Management-Aufgabe, die nur das Land übernehmen kann.
    • Und wir könnten noch mehr machen: Auch die von FDP und SPD geforderte Senkung der Kita-Gebühren wird von Ihnen abgelehnt.

Wir brauchen eine Landesregierung die anpackt, damit wir Zusammenhalt sicherstellen. Aber nicht nur kurzfristig gefährden Sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Auch Ihre langfristige Politik wird dem Titel Ihrer Regierungserklärung nicht gerecht. Besonders klarer wird das am Beispiel der Wärmeversorgung. Das 10-Häuser-Beispiel zeigt das Dilemma der aktuellen Klimapolitik. Und es ist genau das, was Sie tun. Stellen wir uns eine Straße in einer Einfamilienhaussiedlung irgendwo in Deutschland mit 10 Häusern vor. Alle Häuser sind in den 1970er und 1980er Jahren gebaut worden und haben eine Öl- oder Gasheizungen. In Haus eins und Haus zwei wohnen Familien des aufgeklärten, engagierten Bürgertums. Klimaschutz ist Ihnen wichtig, auch als Lebensstil. Beide Familien verdienen gut. Sie haben das Geld in die Hand genommen, um Solardach, Speicher und eine Wärmepumpe einzubauen und sind dadurch klimaneutral. Die Menschen in Haus drei und vier sind eher konservativ. Klimaschutz war Ihnen bisher nicht so wichtig. Das nötige Geld für die Investitionen in eine Solaranlage und Wärmepumpe ist aber auch da und angesichts der steigenden Gaspreise und der neuen Möglichkeiten, Teile der Investition von der Steuer abzusetzen, haben auch sie sich entschlossen, sich jetzt unabhängig zu machen. Ihre Aufträge füllen aktuell die Auftragsbücher der Heizungsbauer. Und auch Haus fünf und sechs werden in einer grünen Förderlogik irgendwann so unterstützt, dass sie sich trotz ihres viel kleineren finanziellen Spielraums und wenig Eigenmittel auf der hohen Kante auch den Einbau einer Wärmepumpe leisten können.

Aber Haus sieben, acht, neun und zehn werden das niemals schaffen. In keinem Förderregime der Welt werden die Familien in diesen Häusern aus eigener Kraft klimaneutral werden. Die Kosten für die Investition sind einfach zu hoch. Der einzige Weg in die Klimaneutralität ist für diese Häuser, dass die ganze Straße als Gemeinschaft zusammenkommt, gemeinsam in ein Wärmenetz mit einer klimaneutralen Energiequelle investiert und alle mit Wärme versorgt werden. Das wäre in den allermeisten Fällen auch die Lösung, die für alle wesentlich günstiger ist. Aber: Dafür müsste die Nachbarschaft, die Kommune, das Land heute bereit sein, in eine gemeinschaftliche Infrastruktur zu investieren, Kredite aufzunehmen und eine gemeinsame Institution zu schaffen oder zu beauftragen.

In einem der Häuser sieben bis zehn wohnt Oma Pasuhlke. Das perfide ist: In dem Moment, wo Haus sechs klimaneutral ist, gibt es keine gesellschaftliche Mehrheit mehr für gemeinschaftliche Infrastrukturen in Form eines Wärmenetzes, was für alle günstiger wäre.
Sie haben für diesen Winter ein 50-Millionen-Klimaschutzpaket angekündigt, um den Einbau von Wärmepumpen zu unterstützen. Gestern wurden Sie im Interview des shz darauf hingewiesen, dass davon nur Menschen mit viel Geld profitieren. Und Sie geben unumwunden zu, dass das stimmt. Sie spalten mit Ihrer Politik unsere Gesellschaft und sind sich dieser Tatsache also sogar sehr wohl bewusst. Da wirkt es wie Hohn, dass Sie unser Entlastungspaket für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen ablehnen, weil die 100 Millionen Euro ja sowieso zu wenig sind. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: 100 Millionen Euro für Menschen mit wenig Geld lehnen sie ab, weil das ohnehin nichts bringt. Und dennoch geben sie 50 Millionen Euro an wohlhabende Eigenheimbesitzer. Schwarz-grüner kann Politik nicht sein.

Und da sind wir dann wieder beim Kern der politischen Frage des Zusammenhalts. Welche Rolle soll die Landesregierung spielen. Die harte Wahrheit ist, Herr Günther, dass sie ganze Teile von Gesellschaft nicht in den Blick nehmen. Mein Eindruck ist, dass wir in zwei unterschiedlichen Ländern leben. Es gibt zwei Schleswig-Holsteins. Eines für und in dem Schwarz-Grün Politik macht. Das ist das Land, in dem sie und ihre Freunde und Bekannten leben. Und es gibt ein anderes Land, das kennen sie kaum. Dieses Land hat Ihre Regierung nicht im Blick.
Im Schwarz-Grünen Schleswig-Holstein hat man sich gerade das erste E-Auto angeschafft und freut sich beim Vorbeifahren an der Tankstelle, dass man die hohen Preise nicht mehr zahlen muss. In diesem Schleswig-Holstein ist man dank Solardach und Wärmepumpe unabhängig vom russischen Gas. Man ist zufrieden, dass es die neue Landesregierung mit dem Klimaschutz richtig ernst meint. Kopfschüttelnd schaut man auf die vielen Menschen, die es versäumt haben, ihre Heizung klimaneutral zu machen und jetzt über die hohen Preise stöhnen. Und in dem anderen Schleswig-Holstein überlegt man gerade, wie man eigentlich durch den Winter kommt. Man rechnet, ob die Tankfüllung noch bis in den nächsten Monat reicht. In dieser Realität bring Ihre Wallbox-Förderung nichts. Man hat schlicht kein E-Auto und schon gar kein Eigenheim, an das man diese Wallbox schrauben könnte.

Es gibt da ein anderes Schleswig-Holstein. Jenseits des Schwarz-Grünem Wohlfühlpopulismus. Ein Land von dem Sie im Wahlkampf nichts hören wollten. Das Schwarze und Grüne in großer Eintracht geleugnet haben. Sie haben da einen blinden Fleck. Die Breite, die Sie hier im Plenum einnehmen, steht eben in keinem Verhältnis zur gesellschaftlichen Breite Ihrer Koalition. Klimaschutz ist keine Frage der Moral, der Identität und des Lifestyles. Noch nicht mal eine die sich durch mehr Aufklärung, mehr Partizipation, mehr Vernunft lösen lässt. Wenn Sie diese Wahrheit nicht anerkennen, dann werden einige der Alten, einige der Armen, einige der Schwachen auf der Strecke bleiben. Die werden den Weg in Richtung Klimaneutralität nicht schaffen. Ihre Politik führt Gesellschaft nicht zusammen, sondern spaltet sie. Ihre Lösungen funktionieren eben nicht für alle.

Ihre Koalition hat sich verpflichtet, bis zum Jahr 2040 klimaneutral zu werden. Sie wollen das in einem Gesetz festschreiben. Das ist eine ernste Sache. Gesetze müssen eingehalten werden. Das ist das Fundament eines Rechtsstaates. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass Sie dieses Ziel wirklich ernst nehmen. Sie haben keinen Plan. Sie haben kein Konzept. Sie haben keinen Pfad und keine Maßnahmen. Das einzige was sie haben ist ein abstraktes politisches Endziel. Und es fehlt ein fundamentales Eingeständnis: Klimaschutz kostet Geld. Wir müssen Busse und Bahn ausbauen, Wärmenetze bauen, Wasserstoffinfrastruktur und Ladeinfrastruktur entwickeln. Schätzungen gehen von 400 Milliarden öffentlichen Investitionen in Deutschland aus. Auf Schleswig-Holstein bezogen sind das zwischen 5 und 10 Milliarden zusätzliche Ausgaben. Wer behauptet, dass sich das nebenbei aus den Landeshaushalt finanzieren lässt, will entweder den Sozialstaat schleifen oder sagt die Unwahrheit. Eines kann man Ihnen nicht vorwerfen, Frau Heinold. Sie kennen ihren Haushalt. Und deshalb kennen Sie auch die Wahrheit über die Notwendigkeit von Klimainvestitionen.

Mich macht es wirklich betroffen, dass eine grüne Finanzministerin über zwei Milliarden Euro an Krediten ungenutzt lässt, statt sie in Klimaschutz zu investieren. Die Ampel-Regierung in Berlin mit FDP-Finanzminister Christian Lindner hat genau das getan. Die verbliebenen Corona-Milliarden wurden in einen Energie- und Klimafonds überführt. Ihre Regierung hat die Mehrheit, um genau dasselbe zu tun. Sie haben sich dagegen entschieden. Schuldenbremse ist nicht das gleiche wie die Schwarze Null.
Die Schuldenbremse hat uns ermöglicht, die HSH zu retten und unsere Wirtschaft in Corona-Zeiten am Laufen zu halten. Aber bei der größten Krise, der die Menschheit gegenübersteht ist die Schuldenbremse auf einmal Ihre Entschuldigung dafür, nicht zu handeln? Damit ist das von Ihrer Landesregierung im Koalitionsvertrag ausgegebene Klimaziel 2040 schon nach zwei Monaten als Lippenbekenntnis entlarvt. Ich will noch etwas zum Verhältnis von Regierung und Opposition sagen. Seit 2005 gab es keine so große Regierungsmehrheit in diesem Parlament. Ich muss Ihnen aber eine Illusion nehmen: Leicht wird es mit uns trotzdem nicht. Die Stärke dieser Landtagsopposition misst sich sicher nicht an ihren Köpfen. Ihnen stehen drei starke und selbstbewusste Fraktionen in diesem Haus gegenüber. Uns eint, dass wir Fortschritt für unser Land wollen. Schwarz-Grüne Gemütlichkeit werden wir nicht zulassen. Diese Fortschrittsopposition wird Sie treiben.

Eine letzte Bemerkung ist mir noch wichtig: Schwarz-Grün hat zwar zwei Drittel der Sitze in diesem Parlament. Aber Ihre Regierung wurde nur von rund 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler gewählt. Wir werden die Stimme der Menschen sein, die Sie nicht vertreten.
Wir stehen hier
Für das Schulkind, das Hausaufgen am Smartphone erledigt, weil Sie keine Geräte bereitstellen. Für den jungen Vater, der jeden Euro umdreht, weil Sie die Kita-Gebühren nicht senken wollen.

  • Für die Studentin, die keine Wohnung findet, weil die Mieten steigen.
  • Für die Familien, die auf den Familienurlaub verzichten muss, weil Strom und Heizung immer teurer werden und Sie jede Entlastung verweigern. Für diese Menschen machen wir Politik. Und ihren Stimmen werden wir in diesem Parlament Raum geben.“